Herr nimm auch dieses Jahres Last und wandle sie in Segen.
Mit diesen Worten aus dem „Neujahrslied“ des schlesischen Dichters Jochen Klepper (1903 bis 1942) aus unserem Evangelischen Gesangbuch grüße ich Sie an der Jahreswende.
Herr nimm auch dieses Jahres Last und wandle sie in Segen.
Mir gefallen diese Worte von Jochen Klepper jedes Jahr wieder im Silvester- oder Neujahrsgottesdienst, weil sie sich für den Blick nach vorne und den Rückblick eignen.
Die Worte passen für mich, weil sie zuerst ganz nüchtern „Last“ in den Blick nehmen. Da wird nichts beschönigt. Da wird nüchtern aufs Leben geschaut.
Solche Nüchternheit brauche ich an diesem Jahreswechsel 2022/2023. Sie lässt mich beides in den Blick nehmen, was ich versäumt habe und was jetzt unbedingt dran ist.
Mit diesem nüchternen Blick auf „Last“ in Vergangenheit und Zukunft stelle ich aber ebenfalls fest, dass es da einiges gab und weiter geben wird, worüber und worauf ich mich freue, was einfach klasse war und ist. Mir fallen Menschen ein, die mit mir Lasten getragen haben und auf die ich mich weiter verlassen können werde.
Und wenn ich an die Entstehungszeit denke, in der Jochen Klepper diese Worte geschrieben hat, merke ich, wie gut es mir bei allen Lasten geht, die mich drücken: Jochen Kleppers Worte wurden am Ende des Jahres 1937 von der Reichsschrifttumskammer als „absolut jüdisch“ eingestuft. Klepper hat wohl schon ziemlich sicher geahnt, dass für seine Frau und seine Tochter, die nicht mehr fliehen konnten, und damit auch für ihn die Last, in Deutschland zu leben, zu groß werden wird.
„Last“ ist da also nicht nur so dahingesagt. Klepper weiß, wie unerträglich Last werden kann … und trotzdem traut er Gott zu, selbst diese Last, den Tod, in Segen zu verwandeln.
So möchte ich meine „Last“ ebenfalls Gott anvertrauen. Ich möchte Gott das zutrauen: Selbst mit dem, was mich belastet, weil ich mir zwar alle Mühe gebe, aber das Ergebnis ungenügend bleibt, kann Gott etwas anfangen. Gott kann aus meiner „Last“ für andere und für mich etwas Gutes, etwas Sinnvolles, etwas Leben Ermöglichendes, „Segen“ werden lassen.
Kleppers Zeitgenosse Dietrich Bonhoeffer hat dieses segnende Handeln Gottes so in Worte gefasst: „Ich glaube, dass Gott aus allem, auch aus dem Bösesten, Gutes entstehen lassen kann und will.“
Manchmal erahne ich das, was Klepper und Bonhoeffer Gott da als „Segen“ zutrauen: Eine Krankheit lässt mich Leben neu sehen. Eine Katastrophe lässt uns zusammenwachsen. Herausforderungen lassen mich zusammen mit anderen neue Begabungen und Möglichkeiten entdecken. Unter Druck schaffen andere für mich oder ich für andere etwas, was ich Ihnen und mir niemals zugetraut hätte. Gott wandelt da „Last“ in „Segen“. Gott kann mitten durch meine allzu berechtigte Angst und meine wohl begründeten Zweifel andere und mich seinen Segen und seine Liebe erfahren lassen, obwohl ich es ihm nie zugetraut hätte.
Dass wir das, wie Jochen Klepper, Gott sogar durch den eigenen Tod hindurch zutrauen können, wünsche ich Ihnen allen für Sie und für die Menschen, an die Sie an dieser Jahreswende denken. Mögen wir rückblickend und im Blick auf die Zukunft immer wieder sagen können:
Herr nimm auch dieses Jahres Last und wandle sie in Segen.
Dekan Peter Huschke