Liebe Leser_innen,
es mag befremdlich klingen, wenn ich heute – in der Woche nach dem Volkstrauertag und direkt vor dem Toten-/Ewigkeitssonntag – auf eine Witwe neidisch bin. Aber es gibt eine konkrete Witwe, für die das gilt. Und das, obwohl ich gar nicht sehr viel über sie weiß.
Es ist Jesus im Lukasevangelium (Lk 18), der uns von dieser Witwe erzählt. Auf den ersten Blick ist sie natürlich überhaupt nicht zu beneiden. Sie ist Witwe und hat folglich ihren Mann verloren. Das allerdings in einer Zeit, in der die „Leviratsehe“ noch galt. Ein Bruder ihres Mannes sollte sie nun zur Frau nehmen, damit sie nicht alleine steht und das Andenken an den Verstorbenen erhalten bleibt.
Dabei ist nun aber irgendetwas schief gegangen. Was genau, das wissen wir nicht. Aber Jesus erzählt in seinem Gleichnis, dass die Witwe ihr Recht einfordert – und das ausgerechnet bei einem Richter, der „Gott nicht fürchtet und keinen Menschen scheut“, wie es im Bibeltext heißt.
Was macht mich aber heute neidisch auf diese Witwe? Es ist ihr Wissen darum, was ihr Recht ist („Verschaffe mit Recht“, spricht sie); es ist ihr Gespür für das Richtige; ihr beharren auf dem, was gut für sie ist.
Mir ist das aber in letzter Zeit irgendwie abhandengekommen, das Wissen darum, was richtig oder gut ist. Ganz gleich, ob es darum geht, auf welche Schule unser Sohn im nächsten Jahr gehen soll, wie wir als Kirchengemeinden attraktiv bleiben, welche Schritte beim Klimaschutz in Kombination mit der Energiekrise die besten sind – oder im Blick auf das, was in der Ukraine passiert.
Es wirkt wie eine große Überforderung, denn das, was heute gilt, scheint morgen schon wieder überholt zu sein. Was ist das Gute, das ich erstrebe, was ist das Richtige, das ich tun will?
Jesus, der das Gleichnis der Witwe erzählt, gibt uns den Hinweis, wir sollen Gott inständig bedrängen, damit er uns zum Recht verhilft und zum Guten führt. Aber was, wenn wir es eben nicht kennen, das Richtige und das Gute?
Gott sei Dank gibt Jesus auch darauf eine Antwort, wir finden diese im Rahmen der Bergpredigt. Es ist ein ganz einfaches Gebet, ein Gebet, das auch heute wohl noch jede_r kennt, das Vaterunser. Wenn wir nicht wissen, was wir beten sollen, dann können wir das „Gebet der Herrn“ verwenden. Es umfasst alles, was wichtig ist. Es spricht, auch wenn wir die Worte nicht finden. Es hat seine Macht, auch wenn wir noch nach dem rechten Weg suchen.
So mag ich uns einladen, das Vaterunser heute und immer wieder ganz bewusst zu sprechen und zu beten. Auch und gerade in aller unserer Hilflosigkeit im Blick auf das Vermissen lieber Menschen, den Sorgen angesichts der Energiekrise oder des Klimawandels und hinsichtlich des Kriegs in der Ukraine.
Beten wir mit Jesu Worten, denn Gott hört diese Worte und mag es für uns zum Guten führen. Und seien wir beharrlich darin, wie die Witwe aus der Bibel.
Herzliche Grüße Peter Söder
Pfarrer in Aurachtal und Oberreichenbach
Pfarrer Peter Söder
KGM Aurachtal und Oberreichenbach