Schon lange haben wir Weihnachten nicht mehr in solchen Krisenzeiten erlebt wie heuer. Sollten wir Weihnachten deshalb nicht absagen? Können wir feiern, wenn uns die Welt um die Ohren fliegt? Ich sage: Ja, man kann, man muss es sogar! Denn Weihnachten ist ja kein Fest, das über all das Grauenvolle eine Harmoniesoße gießt. Im Gegenteil. Weihnachten ist ein sehr realistisches Fest. Denn wir feiern dieses Fest trotz der Gefährlichkeit des menschlichen Lebens. Wir feiern es in all unserer zerbrechlichen Existenz. Und wir verbinden mit ihm die Sehnsucht nach Trost, nach Wärme und Geborgenheit. Das Weihnachtsfest thematisiert diese Polaritäten unseres Lebens und verarbeitet sie. Dieses Fest beschönigt daher auch nichts. Wenn man die biblische Weihnachtsgeschichte liest, dann gibt es das Grauenvolle auch in Betlehem zur Zeit der Geburt Jesu: Der Despot Herodes lässt alle männlichen Neugeborenen töten, damit ihm der neugeborene König nicht gefährlich werden kann. Das Leben Jesu ist von Beginn an gefährdet. Er kann nur überleben, weil es Menschen gibt, die sich kümmern, die selbstlos sind und etwas von dem Wenigen, was sie zum Leben haben, verschenken. So wird an Weihnachten sichtbar, dass wir Menschen aufeinander angewiesen sind. Vom Beginn unseres Lebens bis zum Ende sind wir auf andere angewiesen, die uns annehmen, wie wir sind, die sich kümmern und die dafür sorgen, dass wir das bekommen, was wir notwendig zum Leben brauchen. Weihnachten ist aus all diesen Gründen jenes christliche Fest, das uns einen Weg zeigt, wie man sich in dunklen Zeiten einen Rest an Humanität bewahrt. Denn es stellt uns die Frage: wie hältst Du´s mit dem zerbrechlichen und gefährdeten Leben inmitten der Krisen? Wie steht es um Deinen Einsatz für Barmherzigkeit und Gerechtigkeit? In dieser humanen Botschaft spricht Weihnachten auch Nichtchrist*innen an. Es ist ein Fest, was über das Christentum hinausweist. Es hat die Kraft, die Menschheit zu verbinden. Der Grazer Theologe Rainer Bucher hat einmal gesagt: „In der weihnachtlichen Tradition ist so viel gespeichert von dem, was wir heute in einer Welt am Abgrund bräuchten für ein zivilisiertes, gerechtes menschliches Leben; gespeichert ist in ihm die weisheitliche Tradition des biblischen Gottes, der Mensch werden will; gespeichert sind in seiner Volksfrömmigkeit die Rituale, die wichtig sind und Halt geben; gespeichert ist in diesem Fest die große alte und würdige Theologie vom menschgewordenen Gott, in dem die abendländisch-zivilisatorische Tradition der Menschenwürde und -rechte gründet und sich säkular ausfaltet.“
Das Weihnachtsfest ist voller Schätze - ein Speicher für die Menschheit und die Zivilisation. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen ein schönes bestärkendes Fest.
Dr. Monika Tremel, Geschäftsführende Leiterin der Offenen Tür Erlangen; www.offene-tuer-erlangen.de
Dr. Monika Tremel, Geschäftsführende Leiterin der Offenen Tür Erlangen; www.offene-tuer-erlangen.de