Die Verteidigung der Demokratie – eine Frage christlicher Glaubwürdigkeit

An diesem Samstag jährt sich der russische Überfall auf die Ukraine zum wiederholten Mal. Dieser Krieg ist längst kein regionaler Konflikt mehr, das war er übrigens nie. Er steht stellvertretend für jene Art und Weise, wie wir Menschen in der Gegenwart weiterleben wollen: autoritär und ablehnend gegenüber aller gesellschaftlichen Vielfalt. Oder in einer freien, die Würde des einzelnen Menschen respektierenden Ordnung.
Aber dieser Krieg zeigt in seiner grauenvollen Raserei, in der Strategie der verbrannten Erde, noch etwas ganz anderes. Nämlich, dass sich zu allen Zeiten Menschen finden, die solch exzessive Gewalt verüben, die zu willfährigen Helferinnen und Helfern werden - selbst auf Seiten der Kirche, wie am Patriarchen der russisch-orthodoxen Kirche, Kyrill, sichtbar wird. Der gibt Politikern seinen Segen, die Verantwortung tragen für all die Verbrechen. Schamlos und unverhohlen heiligt er den Krieg, missbraucht damit seine Kirche und begeht Verrat am Evangelium.
Ein Gewaltregime findet jederzeit und überall Gefolgsleute, Vergewaltiger, sadistische Verbrecher. Das ist heute beim Ukrainekrieg so, das war in Auschwitz so und wir dürfen uns keine Illusionen machen: das kann jederzeit auch wieder so bei uns passieren. Unsere eigene Geschichte lehrt uns: Es ist gar nicht so schwer, Menschen gegeneinander aufzuwiegeln. Stimmungs- und Angstmache, Bedrohung und Gewalt sind die gängigen Mittel, um Menschen zum Schweigen zu bringen. Und das Treffen von Potsdam, die Remigrationspläne der Rechtsradikalen zeigen, dass menschenverachtende Ideen längst wieder geschmiedet werden.
Die Frage an jede und jeden einzelnen von uns muss daher lauten: Was werden wir dagegen tun? Wie verhalten wir uns gegenüber Umständen, die Unmenschliches von uns verlangen? Denn wir sollten uns vor Augen halten – und das hat Auschwitz uns auch gelehrt: Jede und jeder von uns ist fähig, sich in einen Unmenschen zu verwandeln. Es ist falsch zu meinen, dass es nur die anderen sind, die zu so etwas Monströsem in der Lage wären und nicht wir selbst. Das kann niemand für sich ausschließen. Oder wie anders lässt sich erklären, dass plötzlich kreuzbrave Bürger, freundliche Nachbarn, enge Freunde, liebevolle Familienmitglieder zu Mitläufern, zu Mördern und Denunzianten werden?
Die zahlreichen Demonstrationen derzeit in unserem Land sind ein Hoffnungszeichen. Eine neue Demokratiebewegung ist entstanden. Doch der Kampf für die Demokratie braucht einen langen Atem. Jeder noch so kleine Finger, der dem Monströsen gereicht wird, jegliches Nachlassen und Zurückweichen ist sein Lebenselixier. Es muss uns also darum gehen, dass wir uns nicht auseinanderdividieren lassen. Und dass wir uns eine innere Verpflichtung auferlegen: Niemals, unter keinen Umständen mit dem Monströsen zu paktieren. Dies ist nicht nur für Christinnen und Christen eine Glaubwürdigkeits- und Gewissensfrage, aber doch insbesondere auch für sie.

Dr. Monika Tremel ist Pastoralreferentin und geschäftsführende Leiterin der Offenen Tür Erlangen