Fastenzeit

Fasten in Zeiten von Corona

Seit frühen Zeiten bereiten sich Christinnen und Christen mit Verzicht auf das Osterfest vor. Der biblische Bericht, dass sich Jesus nach seiner Taufe in die Wüste zurückgezogen hatte, ohne zu essen und zu trinken, spielte dabei eine Rolle (Matthäus 4). Verschiedene mehr oder weniger strenge Traditionen und Formen entstanden. Gleichzeitig wurde nach Möglichkeiten gesucht, die Vorschriften zu umgehen. Ob es wahr ist, dass etwa die schwäbische Maultasche entstand, um das Fleisch in der Fastenzeit zu verstecken, sei dahingestellt. Die Reformatoren des 16. Jahrhunderts kritisierten die kirchlichen Fastengebote als Äußerlichkeiten, und die Reformation in der Schweiz begann mit einem demonstrativen Wurstessen am ersten Sonntag der Fastenzeit.  
Dennoch: Fasten ist etwas, was dem Menschen guttun kann. Der freiwillige (!) und bewusste Verzicht wird seit Jahrhunderten praktiziert – in allen Weltreligionen, und auch bei nicht religiös gebundenen Menschen. Er wird von Vielen als Bereicherung ihres Lebens und als Mittel zur Besinnung empfunden. 
Doch Fasten ausgerechnet in diesem Jahr? In der Corona-Pandemie leiden die meisten Menschen unter zahlreichen Einschränkungen. Verzicht hat als verordnete Begrenzung eine eigene, durch ein Virus erzwungene, Bedeutung bekommen. Seit Monaten gibt es keine Restaurantbesuche, der unbeschwerte Shopping-Bummel oder das Fest mit Freunden ist nicht in Sicht, ganz abgesehen von existenziellen Ängsten und Sorgen vieler Menschen. Nein, da mag mancher nicht an zusätzliches Fasten denken!
Mir fehlt aber viel mehr: Gesang, Konzerte, Musik in den Kirchenräumen, gerade in der Passionszeit! In den Zeiten von geschlossenen Museen, Theatern und Konzerthäusern spüre ich, wie sehr ich diese inneren Inspirationen brauche. Kunst und Religion sind dabei Bewohnerinnen des gleichen systemrelevanten Raums, keine Antipoden. Kirche ist auch Kulturträgerin. Ich erlebe das gerade in unserer Matthäuskirche, wo die neue Orgel eingebaut wird – das Kircheninstrument schlechthin. Und ich sehe, dass Orgelbau zu Recht zum immateriellen Weltkulturerbe gezählt wird und die Königin der Instrumente 2021 zum Instrument des Jahres gewählt wurde.
Kirche und Kultur leben auch vom gegenseitigen Dialog und Diskurs. Der muss fortbestehen, die Künste müssen auch in Coronazeiten überleben können.
Wir könnten diese außergewöhnliche Fastenzeit nutzen, bewusst einmal „7 Wochen mit“ auszuprobieren. Mit Kultur. In einem täglichen, persönlichen (leider meist nur virtuellen) Dialog mit einem poetischen Text, einem Bild, mit einer Installation oder mit einem Musikstück. 
Wir können dafür ruhig auch mal etwas bezahlen – das hilft den KünstlerInnen - und dann in einen Trialog eintreten mit der Geschichte vom Leiden und Sterben des Jesus von Nazareth. Wir werden viele gemeinsame, existenzielle Themen entdecken – menschliche und göttliche, ganz im Sinne einer bewusst gelebten Passionszeit. 
Und den Christinnen und Christen sollte man dabei immer anmerken, dass nach der Passionszeit Ostern kommt, dass wir nicht von der Dunkelheit, sondern vom Licht her denken, auch in der Krise. Mit diesem religiös fundierten Grundoptimismus können wir für die Gesamtgesellschaft einen wertvollen Beitrag dazu leisten, wohlbehalten durch diese schwierigen Zeiten zu kommen.

Christian Düfel

Autorin/Autor:
Pfarrer Christian Düfel
Evang.-Luth. Kirchengemeinde St. Matthäus, Erlangen
20.03.2021 (Woche 11/21)