Ich bin nah am Wasser gebaut und je älter ich werde, desto heftiger wird es. Mir kommen leicht die Tränen. Ich stehe dazu!
Fast losgeheult hätte ich, als das Baby mich anguckte. Es saß gut gehalten auf dem Rücken seiner Mutter. Die junge Frau überholte mich, sie ging flott, mit wippenden Schritten. Sicher von seiner Mama getragen, geschaukelt im Rhythmus ihrer raschen Füße, kann das Baby genau die Welt betrachten. Es hält meinen Blick mit großen Augen fest. So sollten Menschen großwerden, so sicher, so geborgen, so getragen! Wie schön, dass es das gibt!
Zum Heulen ist es mir zur Zeit jeden Tag zumute, wenn ich Nachrichten höre oder lese. (Anschauen tue ich sie mir nicht! Mir reicht schon das Hören oder Lesen.) Der Krieg, der Hunger, das Klima. Dann erlebe ich einen Gottesdienst, ganz normal am Sonntag, nichts Spezielles, ich bin einfach dabei – und es wird gebetet. Der Pfarrer findet Worte für das Unrecht und die Gemeinheiten und die Angst. Findet Worte der Klage zu Gott. Bringt den Kummer voller Vertrauen zu Gott. Nun fließen meine Tränen erst recht – aber komischerweise tut mir dieses Weinen gut. Das Gebet trägt mich. Das Gebet zusammen mit den anderen gibt auf geheimnisvolle Art und Weise eine besondere Kraft. Das Gemeinsame stärkt.
Eine chassidische Geschichte kenne ich vom Weinen. Immer wieder denke ich über sie nach:
Der Rabbi trifft seine Enkelin auf der Straße. Sie steht da mit hängenden Armen. Tränen laufen ihr über das Gesicht. „Warum weinst du?“ fragt er. Sie schluchzt: „Wir spielen Verstecken. Ich habe mich versteckt. Richtig gut habe ich mich versteckt. Und ich warte und warte… Aber niemand sucht mich!“ Da kommen dem Rabbi die Tränen: „Ach, so ist es auch für Gott! Gott versteckt sich in der Welt – und niemand sucht ihn!“ – Diesen Kummer kenne ich auch…
Im letzten Buch der Bibel, im vorletzten Kapitel, da findet sich so eine wunderbare Aussicht. Eine Hoffnung für die ganze Welt. Eines schönen Tages, da wird ALLES gut sein. „Kein Leid, kein Geschrei und kein Schmerz wird mehr sein. Und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen.“ Da fange ich gleich wieder an zu weinen, wenn ich es mir so vorstelle, wie da meine Tränen sanft mit einem Seidentüchlein getrocknet werden! Naja, ein paar Freudentränen wird es im Himmel immer noch geben!
Dr. Bianca Schnupp
Pfarrerin Dr. Bianca Schnupp
Evang. Kirchengemeinde Johanneskirche