Trotz allem: „Gelassenheit ist gefragt!“

„In der Ruhe liegt die Kraft“ – so lautete einer der markanten Sprüche, die mein Firmpate – mit ihm habe ich in meiner Jugendzeit im Frankenwald immer gerne zusammengearbeitet - stets genutzt hat. Vermutlich hat dieser Satz auch auf mich abgefärbt, denn er ist mir bis heute im Ohr und oftmals versuche ich, auch in meiner pastoralen Arbeit danach zu handeln. 
Und wenn ich einen Blick in die aktuelle Literatur werfe, so kann ich feststellen, dass diese Haltung der Ruhe und Gelassenheit auch heutzutage noch zählt, hat doch P. Anselm Grün, der bekannte Autor vieler spiritueller Bücher, vor kurzem erst ein neues Büchlein zum Thema „Gelassenheit“ herausgegeben – ähnlich wie auch viele andere Autorinnen und Autoren. 
Gelassen, mit Bedacht und Ruhe an eine Sache ranzugehen, ist m. E. auch und gerade heute in unserer oft hektischen, schnellen und ungeduldigen Zeit ein nach wie vor sinnvolles und hilfreiches Vorgehen; denn der langfristige Erfolg von „Hau-Ruck-Regelungen“ oder von vorschnellen, überzogenen Maßnahmen, die ja oft nur „Aktionismus“ sind, ist doch recht fraglich. Das gilt meiner Meinung nach sowohl im persönlich-privaten wie auch im gesellschaftlichen Bereich, in der Politik wie auch in der Kirche. Ein echter, ehrlicher Dialog, ein kluges Nachdenken über die verschiedenen Aspekte einer Sache und eine differenzierte Betrachtungsweise bringen langfristig oft mehr als manch kurzfristige Reaktionen, die vielleicht öffentlichkeitswirksam sein mögen, aber leider oft nicht nachhaltig wirken. So empfiehlt denn auch der Apostel seiner Gemeinde in Thessalonich: „Prüft alles, und behaltet das Gute!“ (1Thess 5,21), eine Weisung, die sich auf das Miteinanderleben der Gläubigen bezog und von Gelassenheit und Ruhe geprägt war.
Gelassen zu handeln, bedeutet freilich nicht, die Hände in den Schoß zu legen, Dinge auszusitzen oder nichts zu tun. Um nicht diesem Missverständnis zu erliegen und um nicht passiv und untätig zu bleiben, hilft mir immer wieder jener bekannte Gebetstext, welcher auch in meinem Büro hängt und mich stets neu herausfordert und motiviert: „Herr, guter Gott, gib mir die Kraft und den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann; gib mir die Gelassenheit und Geduld, Dinge hinzunehmen und auszuhalten, die ich nicht ändern kann; und gib mir die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.“
Dieser Satz ist für mich Ansporn und Erleichterung zugleich; er sagt mir, dass ich sehr wohl zu Veränderungen in meinem Leben, in meinem Umfeld beitragen kann und soll, und dass ich auch als einzelner was bewirken kann; er sagt mir aber auch, dass nicht alles von mir abhängt, dass ich nicht für alles zuständig und verantwortlich bin, was wiederum sehr entlastend und befreiend sein kann. Gelassenheit ist im Leben also genauso gefragt wie die Bereitschaft zum Handeln.
Gelassenheit tut uns auch in unserer gegenwärtigen gesellschaftlichen Situation gut, in einer Zeit, die doch oft von einem „Schwarz-Weiß-Denken“ geprägt ist, in einer Zeit, wo es tiefe scheinbar unüberwindliche Gräben zwischen verschiedenen Gruppen und Kreisen gibt, wo Spaltungstendenzen zu beobachten sind und Menschen sich jeden Tag über was Neues aufregen, wo ein Skandal den nächsten ablöst. Das Wort von einer „Empörungsdemokratie“ macht die Runde, und für viele Medien gilt: „only bad news are good news“, und in den „sozialen Medien“ machen sich (welch ein Widerspruch!) Hass-Botschaften, Verleumdungen und Drohungen breit. 
Wie oft wird in Diskussionen und Meinungsäußerungen „das Kind gleich mit dem Bade ausgeschüttet“, obwohl doch – wie wir alle wissen - jede Medaille ihre zwei Seiten hat, die es zu berücksichtigen gilt.
Vielleicht könnten hier die „Zehn Gebote der Gelassenheit“, wie sie einst Papst Johannes XXIII. formuliert hat, weiterhelfen. Um nur das erste beispielhaft zu nennen: „Nur für heute werde ich mich bemühen, einfach den Tag zu erleben - ohne alle Probleme meines Lebens auf einmal lösen zu wollen.“
Hilfreich in punkto „Gelassenheit“ mag darüber hinaus auch nochmal ein Blick in die Bibel sein, insbesondere vielleicht jene Szene, wo „die Schriftgelehrten und Pharisäer eine Frau, die beim Ehebruch ertappt worden war, und deshalb gesteinigt werden sollte“ (Joh 8,1-11) zu Jesus brachten, damit er dazu Stellung nehme. In eine Zwickmühle getrieben, reagierte Jesus - im Gegensatz zu den aufgebrachten und wütenden Schriftgelehrten – jedoch ruhig und gelassen: „er bückte sich und schrieb mit dem Finger auf die Erde“ und nach einer Weile sagte er zu all denen, die die Frau steinigen wollten: „Wer von euch ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein.“ (Joh 8,7)
Diese ruhige, überlegte Haltung verschaffte Jesus in dieser unangenehmen, ja zugespitzten und gefährlichen Situation nicht nur Zeit zum Nachdenken, sondern trug auch wesentlich zur Deeskalation dieser spannungsgeladenen zwischenmenschlichen Atmosphäre bei. 
Was damals galt, gilt auch heute – und das ist auch mein Wunsch für uns alle: „Gelassenheit ist angesagt!“ - trotz allem bzw. gerade deswegen!

Leo Klinger
Bildrechte Glasow_Fotografie

Autorin/Autor:
Pastoralreferent Leo Klinger
SSB Erlangen-Nord-West und Gemeindeleiter von St. Heinrich
16.10.2021 (Woche 41/21)