Mehr Wir wagen.

Der Advent dieses Jahres wird wieder nicht so, wie erhofft. Es wird kein ungezwungenes Zusammenkommen am Glühweinstand geben, keine Weihnachtsmärkte und reihenweise werden wieder Feiern abgesagt. Da klingt der Aufruf „mehr Wir wagen“ unangebracht. Und doch hat das vergangene Jahr den meisten von uns schmerzhaft deutlich gemacht, dass uns das „Wir“ fehlt. Uns fehlt Gemeinschaft. Menschen werden krank, wenn sie auf Dauer alleine sein müssen. Unsere Kinder und Jugendlichen mussten und müssen auf vieles verzichten und leiden darunter.
Der Advent dieses Jahres wird eine Zeit, in der wir uns, neben aller Aufregung, der wir täglich begegnen, Gedanken machen dürfen über die größeren Zusammenhänge.
Wir sehen gerade, dass es sehr schwer ist, eine Pandemie zu überwinden, wenn nicht alle am gleichen Strang ziehen. Aber es gibt noch viel mehr Herausforderungen. Von Kindern und Jugendlichen höre ich die bange Frage, wie es mit unserem Planeten weitergeht und von Senioren die Sorge, wer einmal für sie da sein wird.
Im Moment sprechen wir viel von individueller Freiheit. Die ist wichtig. Das 20. Jahrhundert mit seinen Diktaturen hat gezeigt, was passiert, wenn man darauf nicht achtet. Der Weg der christlichen Botschaft jedoch liegt nie auf einer einseitigen Auslegung. Der Weg, der die katholische Kirche immer wieder aufgerichtet hat, ist das „et-et“. Das eine tun und das andere nicht lassen.
Jetzt ist die Zeit, mehr Wir zu wagen. Jesus nennt das Nächstenliebe. Er gibt uns in dieser dunklen Zeit sein Wort mit: „Liebe deinen Nächsten, wie dich selbst.“ und nicht: „Verurteile am anderen, was du in deinem eigenen Leben nicht ausstehen kannst.“
Wir müssen auch auf dem Hintergrund der Corona-Verordnungen weiter miteinander leben können als Kollegen, Nachbarn und Familien. Es ist darum gut, über die aktuellen Fragen zu diskutieren, aber auch nötig, dabei versöhnungsbereit zu bleiben. Denn am Ende hilft es nicht, Recht zu behalten, sondern den gemeinsamen Weg zu finden. Das ist die erste Kerze, die wir am Adventskranz anzünden können. Ein Licht, das das „Wir“ stärkt.
Es ist gut, den Fokus zu weitern und die Pflegekräfte wieder in den Blick zu nehmen, die seit vielen Monaten harte Arbeit leisten. „Mehr Wir wagen“, heißt hier ganz praktisch, Pflegekräfte besser zu entlohnen und Wege zu suchen, wie wir junge Menschen motivieren, wenigstens eine gewisse Zeit in der Pflege tätig zu sein. Der Einsatz an dieser Stelle zündet die zweite Kerze am Adventskranz an. Erst kürzlich durfte ich selbst erfahren, wie lebenswichtig der Dienst der Pflegekräfte ist. Sie waren ein Licht für mich. Ich möchte nun für sie sprechen.
Für eine weitere Gruppe dürfen wir „mehr Wir wagen“. Unsere Kinder wollen nicht nur ein schönes Geschenk zu Weihnachten, sondern dass wir ihre Zukunft positiv gestalten. Dafür ist die Bewahrung der Schöpfung wichtig. Konkrete Schritte zünden hier das dritte Licht der Hoffnung am Adventskranz an.
Das vierte Licht zündet Gott selbst an, der uns seinen Sohn sendet. Jesus breitet in der Krippe seine Arme aus, wie unsere Kinder, und am Kreuz, wie die Leidenden und Bedürftigen. Er spaltet nicht, sondern führt Menschen zusammen, damit wir erleben dürfen, was vielen so sehr fehlt: Gemeinschaft, die trägt. Gemeinschaft, die streiten und sich versöhnen kann. Gemeinschaft, die bewahrt und ins Leben führt. 
Jesus Christus, den wir im Advent erwarten, ermutigt uns, mehr Wir zu wagen.
Eine Adventszeit, die offen ist für positive Wir-Erfahrungen, wünscht 
Pfarrer Marcel Jungbauer.
 

Marcel Jungbauer

Autorin/Autor:
Pfarrer Marcel Jungbauer
Katholischer Seelsorgebereich Erlangen Nord-West
27.11.2021 (Woche 47/21)