Liebe zu allen Menschen

„Wenn ihr nur eure Brüder grüßt, was tut ihr damit Besonderes? Tun das nicht auch die Heiden?“ Mt 5,47

Papst Franziskus Enzyklika zur Bewahrung der Schöpfung „Laudato si“ wurde in der ganzen Welt als wichtiger Anstoß gewürdigt. Im Herbst letzten Jahres veröffentlichte er eine weitere Enzyklika „Fratelli tutti“, in der er betont, wie wichtig die Liebe zu allen Menschen ist.
Die Menschheitsliebe ist ein großartiges Ideal, das in uns Menschen eine große Sehnsucht anspricht. Warum wird die 9. Sinfonie von Beethoven so gern zu Neujahreskonzerten auf der ganzen Welt gespielt? Weil die Musik die Menschheitsliebe, die Schillers „Ode an die Freunde“ ankündigt, hymnisch besingt. Das begeistert uns, gibt uns neue Hoffnung, reißt uns mit! „Seid umschlungen, Millionen!/Diesen Kuß der ganzen Welt!“ Schiller weiß aber auch, dass wir diese Menschheitsliebe nicht selber machen können: „Brüder – überm Sternenzelt/ Muß ein lieber Vater wohnen.“
Papst Franziskus nimmt den heiligen Franziskus als Vorbild: Dieser reiste nach Ägypten und sprach liebevoll mit dem Sultan Malik-al-Kamil in Ägypten. Der Papst schreibt: „Es berührt mich, wie Franziskus vor achthundert Jahren alle dazu einlud, jede Form von Aggression und Streit zu vermeiden und auch eine demütige und geschwisterliche „Unterwerfung“ zu üben, sogar denen gegenüber, die ihren Glauben nicht teilten.“
Aber die Menschheitsliebe hat eine besondere Qualität. Das betont Bergson in seinem Buch „Die beiden Quellen der Moral und der Religion“: Unser normales Empfinden ist gegenüber den Leuten der eigenen Gruppe aufgeschlossen und freundlich und gegenüber fremden Menschen eher etwas zurückhaltend, evtl. in Habacht-Stellung. Dieses Empfinden bringen wir schon aus der Steinzeit mit. Wir wachsen in eine soziale Gemeinschaft hinein, deren Spielregeln wir lernen, und in der wir uns sicher fühlen: die Familie, die Nachbarschaft, die Schule, der Stadtteil bis hin zur Nation. Aber die Menschheit ist nicht einfach eine noch größere Gruppe! Sie ist ein offenes Ganzes. Eine Familie, eine Stadt, eine Nation ist eine geschlossene Gemeinschaft, weil sie eine Grenze hat und jenseits der Grenze ist eine andere Gemeinschaft, eine andere Stadt oder Nation. Und zu den anderen kann man leider auch Mauern aufbauen, um die Fremden aufzuhalten.
Die Menschheitsliebe ist anders als die Liebe zu meinesgleichen! Jesus stellt provozierend den Unterschied fest: „Wenn ihr nur eure Brüder grüßt, was tut ihr damit Besonderes? Tun das nicht auch die Heiden?“ Mt 5,47 Damit wir uns also zur Menschheitsliebe, die die Feindesliebe notwendigerweise mit beinhaltet, aufschwingen können, braucht es einen Sprung. Wir brauchen Vorbilder, die uns begeistern und zum Sprung in die Menschheitsliebe animieren! Bergson nennt sie „Helden der Seelen, die sich allen Seelen verwandt fühlten und die statt in den Grenzen der Gruppe zu bleiben, sich in einem Aufschwung der Liebe der ganzen Menschheit zuwandten.“
Papst Franziskus hat mit der Umweltenzyklika und der Menscheitsliebe-Enzyklika die zwei entscheidenden Zeichen der Zeit angesprochen, die außerdem zusammenhängen:
Nur wenn wir mehr und mehr eine Grenzen überwindende Solidarität und tätige Menschheitsliebe entwickeln, können wir gemeinsam die Klimakrise bewältigen!

Dekan Michael Pflaum

Autorin/Autor:
kath. Dekan Michael Pflaum
Kath. Dekanat Erlangen
03.07.2021 (Woche 26/21)