Was sagt eine Pfarrerin zum Tag der deutschen Einheit? Dass ein Wunder geschehen ist? Dass es eine Sache der Freude ist? Ich kann nur für mich sprechen. Und für mich ist es wahrhaftig ein Wunder, was 1989 seinen Ausgang nahm: Eine friedliche Revolution, die zur Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten führte. Geboren in Thüringen, aufgewachsen in Pommern, Kind einer deutsch-deutschen Ehe, das bin ich. Eine Großmutter in Erfurt, eine in Düsseldorf.
Ein getrenntes Land war die Realität, in die ich hineingeboren wurde und in die ich hineinwuchs. Die eine Großmutter konnte ich besuchen, die andere nicht. Das war nicht leicht zu akzeptieren! Als dann die Mauer fiel, war es zu spät. Beide Großmütter haben es nicht mehr erlebt, sie starben beide vor jenem denkwürdigen Ereignis.
14 Jahre meines Lebens stand die Mauer zwischen beiden Staaten, dann wurde sie endlich eingerissen. „Wir sind das Volk!“, so klang es damals. Nun sind wir wieder ein Volk, seit 30 Jahren schon. Und doch sind nicht alle Unterschiede beseitigt. Noch immer gibt es einen Lohnunterschied in Ost und West. Noch immer ist ein Solidaritätszuschlag nötig. Noch immer trennen uns Mauern in den Köpfen. Schade!
Heute lebe ich in Franken. Wer hätte das am ersten Tag der deutschen Einheit 1990 gedacht? Niemand, nicht einmal ich selbst! Ich bin verheiratet mit einem Niedersachsen. So leben wir deutsche Einheit jeden Tag privat: eine deutsch-deutsche Ehe.
Ja, für mich ist dieser Tag der deutschen Einheit ein Tag der Freude. Ja, es ist ein Wunder, was damals geschehen ist. Und es soll ein Wunder bleiben. Es soll uns im Gedächtnis bleiben, dass wir es nicht allein schaffen konnten. Viele Menschen standen zusammen, Seite an Seite. Gemeinsam auf beiden Seiten der Mauer war der Wille groß, wieder zu einem Land werden zu dürfen. Ich möchte aber auch Gott nicht vergessen. Denn ich glaube, dass wir es nur mit ihm schaffen konnten. Wir waren auf seine Hilfe angewiesen. Wer weiß, wie es ohne ihn ausgegangen wäre.
Was nun können wir heute tun? Da sollten wir auf einen Rat aus der Bibel hören, vielleicht verschwindet dann auch manche Mauer in den Köpfen: Nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat, zu Gottes Lob (Röm 15, 7)! Das schreibt Paulus den Christen in Rom vor etwa 2000 Jahren. Es war damals nötig, dieses Wort zu sagen, und das ist es bis heute! Lassen wir es uns heute neu sagen, auch mit Blick auf den Tag der deutschen Einheit!
Das sollte für uns Christen gelten in Ost und West, in Nord und Süd. Gehen wir weiter aufeinander zu. Lernen wir voneinander. Hören wir aufeinander. Denn nur wir alle zusammen sind das Volk.
Und ich glaube bis heute, dass Gott damals seine Finger im Spiel hatte. Sagen wir unserem guten Gott von Herzen „Danke!“, dass es eine friedliche Revolution war, die uns wieder zusammenbrachte. Nehmen wir uns gegenseitig an zu Gottes Lob!
Autorin/Autor:
Pfarrerin Christiane Börstinghaus
Evang. Luth. Kirchengemeinde Baiersdorf / Langensendelbach
01.10.2020 (Woche 40/20)