„Mitten wir im Leben sind mit dem Tod umfangen.“
Das ist mittelalterliche Sprache, der Anfang eines alten Liedes. Wenn Sie jetzt denken: “Ach die Pfarrerin mit ihrem alten Zeug”, dann lassen Sie Ihre Augen trotzdem nicht gleich weiter wandern zum nächsten Artikel, bleiben Sie kurz bei mir. Ja, das ist alte Sprache und viele von uns wollen nichts hören und lesen vom Tod mitten in der Welt, aber mal ehrlich: es stimmt doch. Der Tod begegnet uns – mitten im Leben, ob wir wollen oder nicht. Kreuze am Straßenrand, die von Autounfällen mit Todesfolge zeugen. Traueranzeigen in der Zeitung. Bilder von Toten in den aktuellen Kriegen überall auf der Welt und von den Gedenkfeiern an den Mahnmalen der vergangenen Kriege. Unsere Matthäuskirche in Uttenreuth steht auf dem Friedhof. Immer wenn wir zur Kirche gehen, gehen wir durch die Gräber, da führt kein Weg dran vorbei.
Der Tod ist gegenwärtig. Auch dann, wenn ein Mensch, der mir nahe stand, stirbt. Dann zeigt sich, wie nah der Tod dem Leben kommt. Auch dann, wenn mitten im Leben etwas endgültig wird. Wenn eine Beziehung am Ende ist, wenn Lebenspläne zerbrechen, wenn eine Krankheit ins Leben bricht, die alles verändert. Immer wenn etwas unwiederbringlich zu Ende ist, dann ist es wie ein Sterben mitten im Leben.
An diesem Wochenende begehen wir in den Kirchen den Totensonntag. Zu den evangelischen Gottesdiensten werden die Angehörigen der Verstorbenen des vergangenen Jahres eingeladen. Wir nennen die Namen der Toten, erinnern uns. Wir nehmen sie mit hinein ins Leben und entzünden eine Kerze für sie. Wir sprechen von der Hoffnung und der Überzeugung, dass mit dem Tod, der für uns so eine endgültige Grenze bedeutet, unsere Beziehungen nicht abbrechen. Nicht zu den Menschen und nicht zu Gott. Im letzten Buch der Bibel beschreibt Johannes seinen visionären Blick in eine neue, eine andere Welt, in der kein Leid, kein Geschrei und kein Schmerz mehr sein werden. Und ich ergänze aus meiner Vorstellung: eine Welt, in der es keinen Krieg und keinen Machtwahn und keinen Missbrauch mehr geben wird. Eine Welt, in der Gerechtigkeit und Frieden und Gemeinschaft sein werden.
Alles Hirngespinste? Ja, vielleicht. Ich weiß es nicht. Aber es bringt mich dazu, die Hoffnung nicht aufzugeben. Die Hoffnung darauf, dass Menschen friedlich miteinander leben können, dass Menschen einander nicht ausnutzen für den eigenen Vorteil, dass Menschen einander verstehen wollen und füreinander da sind - überall auf der Welt und nicht nur im eigenen kleinen Bereich.
“Mitten wir im Leben sind mit dem Tod umfangen – kehr's auch um: Mitten in dem Tode sind wir vom Leben umfangen.” Dieses Spiel mit den Worten ist von Martin Luther. Die Grenzen verwischen. Tod und Leben verbinden sich. Für mich ein Grund, froh gestimmt und voller Hoffnung durch’s Leben zu gehen.
Gerhild Rüger
Pfarrerin in Uttenreuth
Dekanin Erlangen-Ost
Dekanin Gerhild Rüger
Pfarrerin in Uttenreuth und Dekanin Erlangen-Ost